Umstrukturierung und Unternehmenskauf

Massenentlassung

Wird bei mehreren Entlassungen ein bestimmter Schwellenwert überschritten, so hat der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigungen zum einen den Betriebsrat zu konsultieren, § 17 II KSchG und zum anderen bei der Agentur für Arbeit die Massenentlassung anzuzeigen, § 17 III KSchG.

Ist das Konsultationsverfahren gegenüber dem Betriebsrat nicht durchgeführt und/oder die Massenentlassung nicht angezeigt worden, sind die dennoch ausgesprochenen Kündigungen unwirksam. Auch wenn eines von beidem nicht ordnungsgemäß erfolgte, sind die Kündigungen in aller Regel unwirksam.

Die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften ist aufgrund der damit verbundenen erheblichen finanziellen Belastungen also äußerst wichtig.

  1. Voraussetzungen

Um eine Massenentlassung im Sinne des § 17 KSchG handelt es sich, wenn innerhalb von 30 Tagen so viele Entlassungen erfolgen, dass der jeweilige Schwellenwert erreicht ist.

Wann der Schwellenwert erreicht ist, richtet sich danach wie viele Beschäftigte regelmäßig tätig sind:

  • 21-59 Arbeitnehmer im Betrieb: mehr als 5 Entlassungen
  • 60-499 Arbeitnehmer im Betrieb: mehr als 10% oder mehr als 25 Entlassungen
  • mindestens 500 Arbeitnehmer im Betrieb: mindestens 30 Entlassungen

Wie viele Arbeitnehmer beschäftigt sind, ist betriebsbezogen zu beurteilen. Das bedeutet, dass zunächst einmal festzustellen ist, was genau unter „Betrieb“ zu verstehen ist. Unter Berücksichtigung des Unionsrechts liegt ein Betrieb danach vor, wenn in einem Unternehmen eine unterscheidbare Einheit von einer gewissen Dauerhaftigkeit und Stabilität besteht, die zur Erledigung einer oder mehrerer konkreter Aufgaben bestimmt ist und über eine Gesamtheit von AN, technische Mittel und eine organisatorische Struktur zur Erfüllung dieser Aufgaben verfügt. Bei verschiedenen Betriebsteilen kann die Beantwortung der Frage, welche Teile einen Betrieb bilden, im Einzelfall schwierig werden. Auch ein Betriebsteil kann als „Betrieb“ im Sinne des § 17 KSchG angesehen sein, wenn ein Mindestmaß an organisatorischer Selbständigkeit und eine Leitungsperson, die arbeitstechnische Weisungsrechte ausübt, vorhanden sind.

Bei der Gesamtzahl der Arbeitnehmer ist auf die regelmäßig Beschäftigten abzustellen; hierunter fallen möglicherweise auch Leiharbeitnehmer; nicht jedoch die in § 17 V KSchG genannten Personen also beispielsweise nicht die Geschäftsführer.

Unter den Begriff „Entlassungen“ fallen nicht nur betriebsbedingte Kündigungen, sondern auch abgeschlossene Aufhebungsverträge oder Eigenkündigungen, wenn der Arbeitnehmer damit einer betriebsbedingten Kündigung zuvorkommt. Auch Änderungskündigungen sind zu zählen; unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer das Angebot annimmt - das Beendigungsrisiko reicht aus. Gemäß § 17 IV 2 KSchG zählen fristlose Entlassungen nicht.

Weitere Voraussetzung ist, dass die Kündigungen innerhalb von 30 Tagen erfolgen. Innerhalb des 30-Tages-Zeitraums (dieser zählt ab Zugang der Kündigung) sind alle Entlassungstatbestände zusammenzurechnen, auch wenn sie auf einem neuen, eigenständigen Kündigungsentschluss beruhen.

Vorsicht ist geboten bei nach und nach erfolgten Entlassungen:

Wird der Schwellenwert erst durch eine spätere Kündigung überschritten, war die Massenentlassungsanzeige auch für die früheren Kündigungen erforderlich. Diese Kündigungen sind dann unwirksam. Es empfiehlt sich daher im Vorfeld, sorgfältig zu planen.

Sollen in der 30-Tages-Frist eine oder mehrere weitere Kündigungen erfolgen, ist jeweils vor jeder weiteren Kündigung eine eigenständige Entlassungsanzeige erforderlich. Dies ist in der Praxis häufig durch eine „Nachmeldung“ an die zuständige Agentur für Arbeit möglich.

Vorsicht ist auch geboten, wenn für die Wirksamkeit der Kündigung eine behördliche Zustimmung erforderlich ist:

Im Lichte des Unionsrechts und der das Unionsrecht berücksichtigenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ist § 17 KSchG gegebenenfalls dahingehend auszulegen, dass nicht der Zugang der Kündigung relevant ist, sondern der Zeitpunkt der Antragstellung auf Zustimmung bei der zuständigen Behörde: Wenn der erforderliche Antrag innerhalb des 30-Tages-Zeitraums bei der zuständigen Behörde eingeht, ist § 17 KSchG gewahrt.

  1. Konsultationsverfahren, § 17 II KSchG

Vor den Entlassungen ist der Betriebsrat zu informieren und mit ihm zu beraten.  

Dem Betriebsrat sind rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und ihn schriftlich, insbesondere über die in § 17 II 1 KSchG genannten Punkte zu unterrichten.

Hierzu gehören:

(1) die Gründe für die geplanten Entlassungen,   

(2) die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer,

(3) die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer,

(4) den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen,

(5) die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer,

(6) die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien.

Durch diese Information soll der Betriebsrat in die Lage versetzt werden, mit dem Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigungen über die Möglichkeit zu beraten, die Entlassungen zu vermeiden bzw. einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. Zumindest die Gelegenheit dazu muss dem Betriebsrat gegeben werden.

Ob der Betriebsrat zwingend schriftlich im Sinne von § 126 BGB zu informieren ist, ist umstritten; schon allein zu Dokumentationszwecken empfiehlt sich dies jedoch. Zu empfehlen ist auch, den Betriebsrat den Empfang bestätigen zu lassen.

Wird das Konsultationsverfahren nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt, kann die Massenentlassung nicht wirksam angezeigt werden und daher ist eine wirksame Kündigung nicht möglich. Um eine Wiederholung des Konsultationsverfahrens zu vermeiden und wertvolle Zeit nicht zu vergeuden, sollte Wert auf eine von Anfang an vollständige Unterrichtung gelegt werden.

  1. Massenentlassungsanzeige, § 17 III KSchG

Das Erfordernis einer Massenentlassungsanzeige dient - ebenso wie das Konsultationsverfahren - dem Schutz der Arbeitnehmer. Durch die korrekte Erfüllung der Anzeigepflicht soll die Agentur für Arbeit in die Lage versetzt werden, die Folgen der Entlassungen für die Betroffenen möglichst zu mildern.

Der Agentur für Arbeit ist eine Abschrift der Unterrichtung des Betriebsrats zuzuleiten. Im Unterschied zu der Unterrichtung des Betriebsrats muss die Abschrift an die Agentur für Arbeit keine Angaben der für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehen Kriterien enthalten, also nur die obigen Angaben (1) bis (5).

Der Massenentlassungsanzeige ist die Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen, sofern Sie vorliegt. Liegt eine solche Stellungnahme nicht vor, so ist die Anzeige wirksam, wenn der Arbeitgeber glaubhaft macht, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige unterrichtet hat und er den Stand der Beratungen darlegt.

Die Anzeige bei der Agentur für Arbeit, in deren Bezirk der Betrieb liegt, hat schriftlich zu erfolgen. Geht die Anzeige bei einer unzuständigen Agentur für Arbeit ein, so ist sie grundsätzlich unwirksam.

Der zwingende und mögliche weitere Inhalt der Massenentlassungsanzeige ist § 17 III 4 und 5 KSchG zu entnehmen. Die Agentur für Arbeit stellt entsprechende Formulare für die Anzeige der Massenentlassung zur Verfügung. Um Nachfragen der Agentur für Arbeit zu vermeiden, sollten diese Formulare verwandt werden.

Dem Betriebsrat ist eine Abschrift der Anzeige zuzuleiten und er hat die Möglichkeit, weitere Stellungnahmen abzugeben, von denen Sie wiederum eine Abschrift zu erhalten haben.

  1. Rechtsfolgen

18 KSchG enthält eine Sperrfrist, wonach Entlassungen, die nach § 17 KSchG anzuzeigen sind, grundsätzlich erst nach Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit wirksam werden. Die Agentur für Arbeit kann die Zustimmung auch rückwirkend erteilen. Die Sperrfrist kann von der Agentur für Arbeit im Einzelfall auf zwei Monate verlängert werden.

Ist die einmonatige oder verlängerte Sperrfrist abgelaufen, haben Sie 90 Tage Zeit, die beabsichtigten Entlassungen durchzuführen. Die sogenannte Freifrist beginnt mit dem Tag des Ablaufs der Sperrfrist bzw. bei rückwirkender Zustimmung mit Beginn des Tages, auf den die Rückwirkung festgesetzt wurde.

Denken Sie vor Ausspruch der Kündigung noch daran, dass der Betriebsrat gemäß § 102 BetrVG vor jeder Kündigung anzuhören ist. Da Zweck des § 17 II KSchG und Zweck des § 102 BetrVG unterschiedlich sind und bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden wurde, ob die Beteiligungsrechte wirksam miteinander verbunden werden können, empfiehlt es sich eine strikte Trennung einzuhalten. Möglicherweise ergibt sich die Trennung für Sie auch daraus, dass für das Konsultationsverfahren der Gesamtbetriebsrat und für das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG der örtliche Betriebsrat zuständig ist. Dies ist immer im jeweiligen Fall zu prüfen.

Abschließend ist bei Ausspruch der Kündigung die individuelle Kündigungsfrist jedes Mitarbeiters zu beachten.