HR Management

Betriebliches Eingliederungsmanagement

  1. Grundsätzliches

Ist der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber gemäß § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX gemeinsam mit den im Gesetz genannten Stellen die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement).

Das Bundesarbeitsgericht definiert das betriebliche Eingliederungsmanagement regelmäßig so:

Ein betriebliches Eingliederungsmanagement im Sinne von § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ist ein rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener „Suchprozess“, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll. Ziel des betrieblichen Eingliederungsmanagements ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, um so eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden. (vgl. beispielsweise Urteil des BAG vom 07.09.2021, Az. 9 AZR 571/20.)

  1. Dauer der Arbeitsunfähigkeit

Bereits im Gesetz ist festgehalten, dass es irrelevant ist, ob der Arbeitnehmer länger als sechs Wochen am Stück oder in der Summe mehrerer Arbeitsunfähigkeitszeiten länger als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt ist. Es können also auch Arbeitsunfähigkeitszeiten, die auf verschiedenen Erkrankungen beruhen, die Pflicht des Arbeitgebers ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, auslösen. Relevant sind alle nach § 5 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz angezeigten Arbeitsunfähigkeitszeiten. Die jeweiligen Ursachen sind irrelevant.

Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn Arbeitnehmer aufgrund von Krankheit ihre zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen können.

Die Zeitspanne von mehr als sechs Wochen wird innerhalb eines Jahres gefordert. Hierbei meint „Jahr“ nicht das Kalenderjahr. Sobald ein Arbeitnehmer mehr als sechs Wochen in einem Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt, der ein Jahr umfasst, ist ein betriebliches Eingliederungsmanagement einzuleiten.

Aus Arbeitgebersicht empfiehlt es sich, regelmäßige Stichtage festzulegen, an denen eine Überprüfung stattfindet, ob Arbeitnehmer zu dem jeweiligen Stichtag schon länger als 6 Wochen im davor liegenden Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt waren.

  1. Erneute längere Arbeitsunfähigkeit

Der Arbeitgeber hat grundsätzlich ein neuerliches betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines betrieblichen Eingliederungsmanagements erneut länger als sechs Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt war (vgl. Urteil des BAG vom 18.11.2021, Az. 2 AZR 138/21).

  1. Teilnehmende Personen

Am betrieblichen Eingliederungsmanagement ist bei Zustimmung des betroffenen Arbeitnehmers die zuständige Interessenvertretung im Sinne des § 176 SGB IX (Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalts- und Präsidialrates) und bei schwerbehinderten Menschen die Schwerbehindertenvertretung zu beteiligen.

Der Arbeitnehmer kann zusätzlich eine Vertrauensperson eigener Wahl zum betrieblichen Eingliederungsmanagement hinzuziehen; hierbei kann es sich auch um einen Rechtsanwalt handeln.

Je nach gesundheitlicher Einschränkung und Arbeitsplatz kann es sinnvoll sein, den Werks- oder Betriebsarzt zum betrieblichen Eingliederungsmanagement hinzuzuziehen. Das Gesetz eröffnet in § 167 Abs. 2 Satz 3 SGB IX ausdrücklich diese Möglichkeit.

Wenn Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht kommen, werden vom Arbeitgeber die Rehabilitationsträger oder bei schwerbehinderten Arbeitnehmern das Integrationsamt hinzugezogen.

  1. Einladungsschreiben des Arbeitgebers

An ein ordnungsgemäßes Einladungsschreiben des Arbeitgebers stellt das Bundesarbeitsgericht hohe Anforderungen. Allein ein nicht ordnungsgemäßes Einladungsschreiben kann zur Folge haben, dass das betriebliche Eingliederungsmanagement als nicht durchgeführt gilt.

Nach § 167 Abs. 2 Satz 4 SGB IX ist u.a. die betroffene Person auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Das Gesetz listet damit die wesentlichen Punkte auf, die im Einladungsschreiben anzugeben sind. Das Einladungsschreiben dient dazu, den betroffenen Arbeitnehmer so umfassend über das betriebliche Eingliederungsmanagement zu informieren, dass er selbstbestimmt und freiwillig entscheiden kann, ob er der Einladung Folge leistet.

  1. Datenschutz

Alle am betrieblichen Eingliederungsmanagement beteiligten Personen sind auf die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen gesondert hinzuweisen, da besondere Kategorien personenbezogener Daten im betrieblichen Eingliederungsmanagement verarbeitet werden. In aller Regel sollten alle am betrieblichen Eingliederungsmanagement beteiligte Personen gesonderte Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen.  

Arbeitgeber müssen auch daran denken, dass die Unterlagen des betrieblichen Eingliederungsmanagement gesondert von der sonstigen Personalakte aufzubewahren und vor Zugriff Unberechtigter zu schützen sind. Unberechtigt sind während des laufenden betrieblichen Eingliederungsmanagement alle Personen, die nicht an ihm beteiligt sind. Ist das betriebliche Eingliederungsmanagement beendet, dürfen die Unterlagen aus dem betrieblichen Eingliederungsmanagement grundsätzlich ohne Zustimmung des betroffenen Arbeitnehmers nicht mehr genutzt werden.

Sofern ein zweites betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt wird, dürfen die Unterlagen aus dem ersten betrieblichen Eingliederungsmanagement nur mit Zustimmung des betroffenen Arbeitnehmers auch im zweiten betrieblichen Eingliederungsmanagement herangezogen werden.

Sofern zu einem späteren Zeitpunkt ein Kündigungsschutzverfahren stattfindet, darf lediglich die Tatsache, dass ein betriebliches Eingliederungsmanagement stattgefunden hat und mit welchem Ergebnis dieses geführt worden ist, im Prozess verwendet werden. Die Details des betrieblichen Eingliederungsmanagements unterliegen der Verschwiegenheitspflicht.

  1. Durchführung

Art und Umfang des betrieblichen Eingliederungsmanagements richten sich nach den jeweiligen Umständen. Manche Verfahren sind mit einem Termin bereits beendet und andere ziehen sich über einen längeren Zeitraum mit mehreren Terminen hin, um beispielsweise zu überprüfen, ob umgesetzte Maßnahmen erfolgreich waren.

Beendet ist das betriebliche Eingliederungsmanagement, wenn

  • der Arbeitnehmer es abbricht (siehe nachfolgend unter Freiwilligkeit) oder
  • wenn die Beteiligten das Verfahren für gescheitert erklären oder
  • wenn erfolgreich Maßnahmen ergriffen worden sind, um den Arbeitsplatz zu erhalten oder
  • der Arbeitnehmer erfolgreich auf einen anderen Arbeitsplatz umgesetzt wurde oder
  • wenn die Beteiligten übereinstimmend feststellen, dass der Arbeitsplatz auch ohne Maßnahmen erhalten werden kann (weil beispielsweise der Arbeitnehmer wegen eines Unfalls länger arbeitsunfähig erkrankt war und die Unfallfolgen vollständig ausgeheilt sind).
  1. Freiwilligkeit

Die Teilnahme am betrieblichen Eingliederungsmanagement ist für den betroffenen Arbeitnehmer immer freiwillig. Er muss dem betrieblichen Eingliederungsmanagement nicht zustimmen und kann das betriebliche Eingliederungsmanagement jederzeit beenden.

Zu beachten sind jedoch die Folgen eines abgelehnten oder abgebrochenen betrieblichen Eingliederungsmanagement:

Ist der Arbeitnehmer mit der Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagement nicht einverstanden oder bricht er es später ab oder wirkt er im Verfahren nicht mit, kann er sich nicht auf die mangelnde Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements berufen. Der Arbeitgeber wird in einem späteren Kündigungsschutzprozess also so gestellt, als wäre das betriebliche Eingliederungsmanagement ordnungsgemäß durchgeführt worden.

  1. Kein einklagbarer Anspruch des Arbeitnehmers

Das BAG hat in seinem Urteil vom 07.09.2021, Az. 9 AZR 571/20 klargestellt, dass § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX keinen Individualanspruch des betroffenen Arbeitnehmers auf Einleitung und Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements begründet.

Eine Klärung kann die zuständige Interessenvertretung, also in der Regel der Betriebsrat oder Personalrat und bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung verlangen, vgl. § 167 Abs. 2 Satz 7 SGB IX. Diese Stellen wachen darüber, dass der Arbeitgeber seine Verpflichtung zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements erfüllt.

  1. Bedeutung für ein Kündigungsschutzverfahren

Auch wenn das betriebliche Eingliederungsmanagement das Ziel der Arbeitsplatzerhaltung hat, hat es Bedeutung für eine später ausgesprochene personenbedingte Kündigung.

Betriebliches Eingliederungsmanagement ordnungsgemäß durchgeführt:

Ist das betriebliche Eingliederungsmanagement ordnungsgemäß durchgeführt worden und bestehen Möglichkeiten wie der Arbeitnehmer weiterbeschäftigt werden kann (beispielsweise durch Anpassung des Arbeitsplatzes oder durch Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz) und hat der Arbeitgeber die Maßnahmen ergriffen, aber waren sie doch nicht erfolgreich oder wurde im betrieblichen Eingliederungsmanagement festgestellt, dass es keine Möglichkeiten zum Erhalt des Arbeitsplatzes gibt, kann sich der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzverfahren grundsätzlich nur noch auf Umstände berufen, die nach Abschluss des betrieblichen Eingliederungsmanagements eingetreten sind. Ideen zum Erhalt seines Arbeitsplatzes hätte er bereits im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements einbringen müssen.

Betriebliches Eingliederungsmanagement nicht ordnungsgemäß durchgeführt:

Wurde kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt oder ist es nicht ordnungsgemäß erfolgt oder sind Maßnahmen, die im betrieblichen Eingliederungsmanagement festgehalten wurden, vom Arbeitgeber nicht umgesetzt, hat der Arbeitgeber im Kündigungsschutzverfahren darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, dass ein ordnungsgemäß durchgeführtes betriebliches Eingliederungsmanagement zu keinem anderen Ergebnis geführt hätte, also den Arbeitsplatz des betroffenen Arbeitnehmers nicht hätte erhalten können.