HR Management

Arbeitsunfähigkeit

  1. Grundsätzliches

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft.

Aber was heißt das eigentlich „Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit“?

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts setzt eine Krankheit einen regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustand voraus; wobei ein körperlicher oder geistiger Zustand dann regelwidrig ist, wenn er nach allgemeiner Erfahrung unter Berücksichtigung eines natürlichen Verlaufs des Lebensgangs nicht bei jedem anderen Menschen gleichen Alters und Geschlechts zu erwarten ist

Ein Arbeitnehmer ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dann arbeitsunfähig infolge Krankheit, wenn ein Krankheitsgeschehen ihn außerstande setzt, die ihm nach dem Arbeitsvertrag obliegende Arbeit zu verrichten, oder wenn er die Arbeit nur unter der Gefahr fortsetzen könnte, in absehbarer naher Zeit seinen Zustand zu verschlimmern.

Die Arbeitsunfähigkeit darf jedoch durch den Arbeitnehmer nicht schuldhaft verursacht worden sein. Schuldhaft handelt der Arbeitnehmer, der in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise verstößt.

  1. Wartezeit

Voraussetzung für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist, dass das Arbeitsverhältnis mindestens vier Wochen besteht.

Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitnehmer in dieser Wartezeit tatsächlich gearbeitet hat. Es reicht aus, dass das Arbeitsverhältnis rechtlich bestand. Erkrankt der Arbeitnehmer also dauerhaft bereits zu Beginn des Arbeitsverhältnisses, so erhält er ab dem ersten Tag der fünften Woche Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (BAG 26.5.1999 AP EntgeltFG § 3 Nr. 10).

  1. Dauer der Entgeltfortzahlung

Grundsätzlich besteht für jede Arbeitsunfähigkeit ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung von bis zu sechs Wochen.

Dies gilt dann nicht, wenn es sich um eine Fortsetzungserkrankung handelt, also dieselbe Krankheit Ursache für die erneute Arbeitsunfähigkeit ist. Davon gibt es jedoch wiederum eine Ausnahme: War der Arbeitnehmer zwischen zwei Zeiträumen der Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht wegen dieser Krankheit arbeitsunfähig, so hat er einen neuen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von weiteren sechs Wochen.

Der Arbeitnehmer hat auch dann einen neuen Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn er 12 Monate nach dem Beginn der ersten AU erneut erkrankt.

Gegen-Ausnahme: Es besteht dann kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung von bis zu sechs Wochen für jede Arbeitsunfähigkeit, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls zur Arbeitsunfähigkeit führt. In diesem Fall erhält der Arbeitnehmer bei entsprechender Dauer der durch beide Erkrankungen verursachten Arbeitsverhinderung nur einmal Entgeltfortzahlung für sechs Wochen (Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls). Ein weiterer Entgeltfortzahlungsanspruch besteht nur dann, wenn die erste Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in dem eine weitere Erkrankung zu einer neuen Arbeitsverhinderung führt (vgl. Senat vom 02.12.1981, Az. 5 AZR 89/80; BAGE Band 37 Seite 172 = AP LohnFG § 1 Nr. AP LOHNFG § 48).

Da es viele Ausnahmen und Gegen-Ausnahmen gibt, kann die genaue Bestimmung des Entgeltfortzahlungs-Zeitraums im Einzelfall also schwierig sein.

  1. Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts

Grundsätzlich hat der Arbeitnehmer Anspruch auf das Arbeitsentgelt, das ihm zustehen würde, wenn er gearbeitet hätte. Es gilt das sogenannte „Lohnausfallprinzip“.

Nicht zu diesem Arbeitsentgelt gehören das zusätzlich für Überstunden gezahlte Arbeitsentgelt und Leistungen für Aufwendungen, die während der Arbeitsunfähigkeit nicht entstehen. Im Einzelfall kann es einer genauen Überprüfung bedürfen, in welcher Höhe das Entgelt tatsächlich fortzuzahlen ist. Auch in den Tarifverträgen können sich abweichende Regelungen finden.

  1. Nach der Entgeltfortzahlung

Besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen den Arbeitgeber (mehr), so besteht in aller Regel ein Anspruch auf Krankengeldzahlung. Damit dieser Anspruch entsteht, muss der Arbeitnehmer sämtliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen jeweils nicht nur dem Arbeitgeber vorlegen, sondern (die entsprechende Ausfertigung) an die Krankenkasse senden. Diese Verpflichtung haben gesetzlich versicherte Arbeitnehmer ab 01.01.2023 dann nicht, wenn sie die Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt bescheinigen lassen, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt und die Arbeitsunfähigkeit elektronisch an die Krankenkasse meldet.

Die gesetzliche Krankenkasse ist bei fortlaufender Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit längstens für 78 Wochen (innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren) zur Krankengeldzahlung verpflichtet.

  1. Arbeitsunfähigkeit über das Ende der Beschäftigung hinaus

Grundsätzlich besteht gegen den Arbeitgeber ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bis zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (sofern der 6-Wochen-Zeitraum vorher noch nicht ausgeschöpft ist).

Normalerweise meldet sich der Arbeitnehmer im Falle der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bei der zuständigen Agentur für Arbeit persönlich arbeitslos. Ist der Arbeitnehmer jedoch arbeitsunfähig, dann ist er nicht arbeitslos, weil er - aufgrund seiner Erkrankung - dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht.

Aber Vorsicht: Bislang war der Arbeitnehmer in einem Beschäftigungsverhältnis und der behandelnde Arzt hat die Arbeitsunfähigkeit in Bezug auf dieses Beschäftigungsverhältnis beurteilt. Die Agentur für Arbeit hat zu prüfen, ob der Arbeitnehmer arbeitsfähig in Bezug auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ist. Der Arbeitnehmer sollte dies mit seinem Arzt besprechen. Ist er nämlich tatsächlich nur in Bezug auf die letzte Tätigkeit arbeitsunfähig, so empfiehlt es sich, die Arbeitsunfähigkeit nur bis zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestätigen zu lassen und sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos zu melden.

Ist der Arbeitnehmer über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus arbeitsunfähig erkrankt, so hat er in aller Regel einen Anspruch auf Krankengeld und nicht auf Arbeitslosengeld. (Zur Dauer des Krankengeldanspruchs siehe oben unter Ziffer 5.)

  1. Problem „Teil-Arbeitsunfähigkeit“

Die Frage, ob ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist, bestimmt sich immer nach der zu erbringenden Arbeitsleistung. Kann er die Arbeitsleistung ganz oder teilweise nicht verrichten, ist er arbeitsunfähig. Das Arbeitsrecht unterscheidet nicht zwischen ganzer und teilweiser Arbeitsunfähigkeit. Auch der vermindert Arbeitsfähige ist arbeitsunfähig krank im Sinne der einschlägigen entgeltfortzahlungsrechtlichen Regelungen, eben, weil er seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht voll erfüllen kann (BAG, Urteil vom 29.01.1992, Az. 5 AZR 37/91).

Abgrenzung zur eingeschränkten Einsetzbarkeit:

Können die Vertragspflichten erfüllt werden, weil die gesundheitlich mögliche Alternativtätigkeit innerhalb des vertraglichen Rahmens liegt, so ist der Arbeitgeber zu einer Änderung der Weisung verpflichtet (wenn die Alternativtätigkeit für den Arbeitgeber in gleicher Weise geeignet ist).

Es liegt also keine Arbeitsunfähigkeit vor, wenn der Arbeitnehmer eine volle Arbeitsleistung erbringen kann und lediglich gehindert ist, der gesamten Bandbreite der arbeitsvertraglich an sich möglichen Leistungsbestimmungen gerecht zu werden (BAG Urteil vom 09.04.2014, Az. 10 AZR 637/13 zum Fall einer Krankenschwester, die aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschicht mehr arbeiten kann).

Nach § 106 Satz 1 Gewerbeordnung (GewO) hat der Arbeitgeber sein Weisungsrecht nach billigem Ermessen auszuüben. Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind.

Dies gilt auch bei der Frage, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, einen sogenannten „leidensgerechten Arbeitsplatz“ zuzuweisen: Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Neubestimmung der Tätigkeit des Arbeitnehmers setzt voraus, dass der Arbeitnehmer die Umsetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz verlangt und dem Arbeitgeber mitgeteilt hat, wie er sich seine weitere, die aufgetretenen Leistungshindernisse berücksichtigende Beschäftigung vorstellt. Dem Verlangen des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber regelmäßig entsprechen, wenn ihm die in der Zuweisung einer anderen Tätigkeit liegende Neubestimmung der zu bewirkenden Arbeitsleistung zumutbar und rechtlich möglich ist (vgl. BAG, Urteil vom 19.05.2010, Az. 5 AZR 162/09).

Abgrenzung zur Wiedereingliederung:

Stellt der Arzt des Arbeitnehmers (nach längerer Erkrankung) fest, dass er die bisherige Tätigkeit teilweise verrichten und er durch eine stufenweise Wiederaufnahme der Tätigkeit voraussichtlich besser wieder in das Erwerbsleben eingegliedert werden kann, so kann eine stufenweise Wiedereingliederung angezeigt sein. Die stufenweise Wiedereingliederung wird in Absprache mit dem Arzt bei der Krankenkasse beantragt. Durchgeführt wird die stufenweise Wiedereingliederung, wenn der Arbeitgeber zustimmt. In dieser Zeit ist der Arbeitnehmer weiter arbeitsunfähig, da er seine Tätigkeit eben nicht voll verrichten kann. Der Arbeitnehmer erhält für die Dauer der stufenweisen Wiedereingliederung kein Arbeitsentgelt, sondern Krankengeld. Das Arbeitsverhältnis ruht, aber die arbeitsvertraglichen Nebenpflichten (Weisungsrecht, Fürsorgepflicht etc.) bestehen fort.